Das Göttinger Migrationszentrum, eine Einrichtung des Diakonieverbandes im Ev.-luth. Kirchenkreis Göttingen-Münden, hat zum 01. Juli ein zweijähriges Projekt begonnen, das Frauen und Mädchen unterstützt, die von weiblicher Genitalverstümmelung (female genital mutilation/cutting - FGM/C) betroffen oder bedroht sind.
Projektmitarbeiterin Nicole Schmale: „FGM/C ist eine körperlich und seelisch tiefgreifende und sehr schwerwiegende Menschenrechtsverletzung. Der Begriff umfasst verschiedene Praktiken, bei denen aus nicht medizinischen Gründen Teile der weiblichen Genitalien abgeschnitten oder verletzt werden. Je nach Region sind die Gründe für das Praktizieren von FGM/C verschieden und auch die Form der Verstümmelung sowie das Alter, in der diese erfolgt, sind unterschiedlich. Alle haben ihren Ursprung in bestimmten Vorstellungen von Weiblichkeit und damit verbundenen Annahmen über Sexualität und sind zutiefst frauenfeindlich.“
Weltweit sind Schätzungen zufolge mehr als 200 Millionen Frauen in über 90 Ländern der Welt davon betroffen. Neben verschiedenen afrikanischen Ländern, wird FGM/C auch auf der arabischen Halbinsel, in einigen Ländern Asiens sowie in einigen Ländern Südamerikas praktiziert. In Niedersachsen geht man von einer Zahl von über 5.200 betroffenen Frauen und von rund 1.800 Mädchen aus, welche von weiblicher Genitalverstümmelung bedroht sind.
Bedroht bedeutet, dass auch Mädchen, die hier in Deutschland leben, während einer Reise in ihr Herkunftsland Gefahr laufen, dort verstümmelt zu werden. Seit 2013 ist weibliche Genitalverstümmelung, auch wenn sie im Ausland ausgeführt wird, in Deutschland ein Straftatbestand. FGM/C kann schwerwiegende körperliche Komplikationen, bis hin zum Tod, und erhebliche seelische Belastungen wie Traumatisierungen zur Folge haben, unter denen die Betroffenen häufig ein Leben lang leiden.
Im Migrationszentrum sind die Mitarbeitenden immer wieder mit der Thematik konfrontiert. FGM/C ist relevant für den Verlauf des Asylverfahrens und somit für die aufenthaltsrechtliche Situation der Frauen. Aber auch die körperlichen und seelischen Folgen sind regelmäßig Thema in den Beratungsgesprächen. Um den vielfältigen Bedarfen dieser vulnerablen Personengruppe gerecht zu werden und um den Frauen im erforderlichen Umfang zur Seite stehen zu können, wurde nun eine Projektstelle im Migrationszentrum eingerichtet. „Wir haben in unserer Beratungstätigkeit gemerkt, wie wichtig und komplex das Thema FGM/C auch in Deutschland ist und freuen uns sehr, dass wir Dank der Finanzierung der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers eine neue Stelle einrichten konnten“, so Dana Gaef, Leiter des Migrationszentrums. Aufklärung, Prävention und konkrete Hilfe seien die Ziele des Projektes. Dabei will das Migrationszentrum sowohl Betroffene erreichen, als auch Mediziner:innen (z.B. aus dem Gebiet der Gynäkologie), Netzwerkpartner:innen (u.a. aus dem Bereich Migration) sowie die Bevölkerung.
Im Rahmen des Projekts FGM/C, überregional koordiniert vom Diakonischen Werk in Niedersachsen, wurden 1,5 Stellen geschaffen, in Göttingen, Wolfsburg und der Region Hannover. Das Projekt richtet sich einerseits an die betroffenen Frauen selbst. Sie sollen durch psychosoziale Beratung und Informationsvermittlung in ihrer Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung bestärkt werden. Sie erhalten Beratung rund um FGM/C bei Fragen zu Gesundheit, Asyl- und Aufenthaltsrecht sowie sozialrechtlichen Anliegen und Unterstützung bei der Bewältigung der körperlichen und psychischen Folgen. Zum anderen ist es das Ziel, Institutionen und Organisationen für das Thema zu sensibilisieren und zu einer Enttabuisierung beizutragen. Durch intensive Netzwerkarbeit soll eine Struktur geschaffen werden, in der betroffene Frauen und Mädchen eine angemessene Unterstützung erhalten.